Zweitfamilien, Zweitfrauen, Zweitmänner - Urteile zu Gutachten, Gutachter, Sachverständige, Verfahrenspfleger, Umgangspfleger

Standards für Verfahrenspfleger - Teil 1

Standards für Verfahrenspfleger - Teil 1

Bundesarbeitsgemeinschaft Verfahrenspflegschaft für Kinder und Jugendliche e.V.

Standards für VerfahrenspflegerInnen
Die Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche in Verfahren der Familien- und Vormundschaftsgerichte gemäß § 50 FGG

- Verabschiedet von der Mitgliederversammlung der BAG Verfahrenspflegschaft für Kinder und Jugendliche e.V. am 17. Februar 2001 in Bad Boll -


Kinder und Jugendliche haben das Recht auf ...

... die Achtung ihrer Individualität und Schutzbedürftigkeit
... eine qualifizierte und unabhängige Interessenvertretung
... persönliche Kontakte mit ihren VerfahrenspflegerInnen
... kontinuierliche Begleitung, Information und Beratung
... eine kindzentrierte Gestaltung des Verfahrensablaufes
... eine eigenständige Ermittlung und Dokumentation ihrer Interessen
... die authentische Vermittlung ihres Willens an das Gericht
... die fachlich fundierte Vertretung ihres persönlichen Wohls.


§ 50 FGG [Pfleger für das Verfahren]
(1) Das Gericht kann dem minderjährigen Kind einen Pfleger für ein seine Person betreffendes Verfahren bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist.
(2) 1 Die Bestellung ist in der Regel erforderlich, wenn
1. das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht.
2. Gegenstand des Verfahrens Maßnahmen wegen Gefährdung des Kindeswohls sind, mit denen die Trennung des Kindes von seiner Familie oder die Entziehung der gesamten Personensorge verbunden ist (§§ 1666, 1666 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs), oder
3. Gegenstand des Verfahrens die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson (§ 1632 Abs. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) oder von dem Ehegatten oder Umgangsberechtigten (§ 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) ist.
2 Sieht das Gericht in diesen Fällen von der Bestellung eines Pflegers ab, so ist dies in der Entscheidung zu begründen, die die Person des Kindes betrifft.
(3) Die Bestellung soll unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn die Interessen des Kindes von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten angemessen vertreten werden.
(4) Die Bestellung endet, sofern sie nicht aufgehoben wird,
1. mit der Rechtskraft der das Verfahren abschließenden Entscheidung oder
2. mit dem sonstigen Abschluss des Verfahrens.
(5)1 Der Ersatz von Aufwendungen und die Vergütung des Pflegers bestimmen sich entsprechend § 67 Abs. 3.


1. Eignung
1.1 Qualifikation
1.2 Unabhängigkeit
1.3 Persönliche Eignung
2. Zum Verhältnis zwischen VerfahrenspflegerIn und Kind
2.1 Persönlicher Kontakt zum Kind
2.2 Verständigung mit dem Kind
2.3 Die Anfangsphase der Vertretung
2.4 Information und Beratung des Kindes
2.5 Erreichbarkeit für das Kind
2.6 Der Wille des Kindes
2.7 Begleitung und Vertretung des Kindes
3. Grundlegende Arbeitsprinzipien
3.1 Kindliches Zeiterleben und Verfahrensdauer
3.2 Kindzentrierte Gestaltung der Ermittlungen und des Verfahrens
3.3 Vertretung der Interessen von Geschwisterkindern
3.4 Grundsatz der Vertraulichkeit, Umgang mit Medien
3.5 Umgang mit Drohungen und Gewalt
3.6 Reflexion
4. Vorgehensweise der Interessenvertretung
4.1 Übernahme einer Verfahrenspflegschaft
4.2 Aktenstudium und Auswertung
4.3 Eigenständige Gewinnung von Informationen
4.3.1 Gespräche mit Bezugspersonen und Fachkräften
4.3.2 Dokumentation
4.4 Sachverständige GutachterInnen
4.5 Kooperation mit dem Jugendamt
5. Vertretung der Kindesinteressen im Verfahren
5.1 Mitteilungen an das Gericht
5.2 Abschließende Stellungnahme
5.2.1 Schilderung des Sachverhaltes
5.2.2 Dokumentation des Kindeswillens
5.2.3 Schlussfolgerungen und Empfehlungen
5.3 Gerichtliche Verhandlungen
5.4 Beschwerde
5.5 Beendigung der Tätigkeit
5.6 Vergütung

Eignung
1.1 Qualifikation
Die Übernahme einer Verfahrenspflegschaft erfordert die Fähigkeit zur Begleitung von Kindern und Jugendlichen in belastenden Lebenssituationen, die möglicherweise traumatisierende Beziehungserfahrungen mit Menschen, auf deren Fürsorge und Schutz sie angewiesen sind oder waren, zu bewältigen haben.
Hierfür bedarf es praktischer Erfahrungen sowie besonderer juristischer, pädagogischer und psychologischer Fachkenntnisse. Diese sollten in der Regel durch eine spezialisierte Weiterbildung erworben und im Verlauf der Tätigkeit vertieft und aktualisiert werden. Es empfiehlt sich die kritische Prüfung der derzeitigen Weiterbildungsangebote, deren fachliche Konzepte stark variieren.
Weicht die Qualifikation einer Fachkraft von den genannten Anforderungen erheblich ab, sollte sie erwägen, ob sich die Übernahme der Verfahrenspflegschaft fachlich verantworten lässt und das bestellende Gericht auf diese Sachlage hinweisen.

1.2 Unabhängigkeit
Kinder und Jugendliche haben ein Anrecht auf VerfahrenspflegerInnen, die ihre Belange wahrnehmen und vertreten können, ohne hieran durch eigene Rollen- und Interessenkonflikte gehindert zu werden.
Folglich bedürfen VerfahrenspflegerInnen einer fachlichen Unabhängigkeit von dem bestellenden Gericht, der Jugendhilfebehörde und allen am Verfahren beteiligten Personen. Ebenso ist eine unabhängige Position gegenüber anderen öffentlichen und freien Trägern die Voraussetzung, um zutreffende Bewertungen und Empfehlungen bezüglich ambulanter und stationärer Hilfen abzugeben.
Da Auswahl und Kontrolle der VerfahrenspflegerInnen beim bestellenden Gericht liegen, besteht hier eine strukturelle Abhängigkeit. VerfahrenspflegerInnen sollten daher die notwendige innere Distanz aufbringen, um ihre fachliche Unabhängigkeit gegenüber vermeintlichen oder tatsächlichen Erwartungen des Gerichtes bezüglich ihrer Vorgehensweise und Empfehlungen zu wahren.
MitarbeiterInnen der Jugend- und Sozialämter scheiden prinzipiell als VerfahrenspflegerInnen aus. Fachkräfte anderer öffentlicher und freier Träger eignen sich nur, wenn sie in der Lage sind, die Vertretung der Kindesinteressen vor die vermeintlichen oder tatsächlichen Interessen ihrer Institution bzw. ihrer KollegInnen zu stellen. Bei freiberuflich Tätigen ergibt sich ein Interessenkonflikt, wenn sie aus Gründen der Existenzsicherung eine solche Anzahl von Verfahrenspflegschaften übernehmen, dass sie den Belangen jedes einzelnen Kindes nicht zu entsprechen vermögen.
Arbeitet eine Fachkraft bereits in einer anderen Rolle mit dem Kind, der Familie oder anderen Verfahrensbeteiligten oder hat sie für diese ein Mandat übernommen, ist die Bestellung von ihr abzulehnen. Dies gilt ebenso, wenn die Fachkraft schon früher in dieser Weise involviert war. - Es kann allerdings Ausnahmefälle geben, in denen sich die Bestellung einer solchen Fachkraft dennoch empfiehlt, weil sie dem Kind bereits bekannt und vertraut ist, und ihre Bestellung keine Rollenkonfusion für das Kind bedeuten oder sein Vertrauen erschüttern würde. Eine Verfahrenspflegschaft sollte jedoch keinesfalls übernommen werden, wenn die Fachkraft
 MitarbeiterIn einer Jugendbehörde war, deren fachliches Handeln zu untersuchen und bewerten ist,
 auch mit anderen Familienangehörigen befreundet ist, arbeitet oder gearbeitet hat,
 gegenwärtig in der Jugendhilfeeinrichtung arbeitet, in der das Kind lebt, oder
 in einer Weise an der bisherigen Hilfeplanung beteiligt war, die eine davon unbelastete weitere Vorgehensweise verhindert.

1.3 Persönliche Eignung
Unabdingbare Voraussetzung für die fachlich qualifizierte Vertretung des Kindes ist die persönliche Auseinandersetzung mit den Motiven, als VerfahrenspflegerIn tätig zu werden. Bedeutsam sind insbesondere eigene Kindheitserfahrungen und lebensgeschichtliche Ereignisse, die eine thematische Nähe zur jeweiligen Fallkonstellation aufweisen, sowie die hiermit verbundene Betroffenheit und Belastungsfähigkeit.
Die Tätigkeit als VerfahrenspflegerIn erfordert insbesondere Einfühlungsvermögen, Kreativität, kritische Distanzierungsfähigkeit, Vermittlungskompetenz, sprachliche Gewandtheit, Belastbarkeit, Bereitschaft zur Selbstreflexion sowie Durchsetzungsfähigkeit.
VerfahrenspflegerInnen sollten beachten, ob ihre Bestellung den Besonderheiten des Einzelfalles gerecht wird. So sollten sie in der Lage sein, die Bedeutung der jeweiligen kulturellen, ethnischen oder schichtspezifischen Lebenszusammenhänge des Kindes zu erkennen. Für manche Kinder oder Jugendliche, insbesondere wenn sie sexuell missbraucht wurden, kann die Geschlechtszugehörigkeit der sie vertretenden Person entscheidend sein.
Wird VerfahrenspflegerInnen zu Beginn oder während der Vertretung klar, dass ein Kind eine Aversion gegen sie hegt, wegen der es sich nicht anvertrauen kann, und dass diese trotz aller Bemühungen bestehen bleibt, sollte eine vorzeitige Aufhebung der Bestellung in Betracht gezogen werden. Bezieht sich die Ablehnung des Kindes nicht primär auf die eigene Person, lassen sich aus ihr hingegen Hinweise zum Verständnis seiner Beziehungserfahrungen folgern. Ein Abbruch der Vertretung erscheint dann kaum angebracht.
Gegen die persönliche Eignung ansonsten geeigneter VerfahrenspflegerInnen kann in bestimmten Fallkonstellationen eine Einbindung in Sekten bzw. Religionsgemeinschaften, Interessenverbänden u.ä. sprechen, sofern diese einer am Kind orientierten Bestimmung seiner wohlverstandenen Interessen hinderlich ist. Entsprechende Vorbehalte sind dem Gericht frühzeitig und auf eigene Initiative mitzuteilen.
Als VerfahrenspflegerIn scheidet aus, wer von Suchtmitteln wie illegalen Drogen, Alkohol, nicht indizierten Medikamenten etc. abhängig ist. Gleiches gilt für Pädophile oder wegen eines Vergehens bzw. Verbrechens an Minderjährigen verurteilte Personen. Wurde diesbezüglich gegen eine Person ermittelt, hat sie dem Gericht auf eigene Initiative eine Eignungsprüfung zu ermöglichen.
VerfahrenspflegerInnen sollten mit dem Gericht alle Fragen besprechen, die Zweifel an ihrer persönlichen Eignung zur Übernahme der Vertretung eines bestimmten Kindes begründen.

2. Zum Verhältnis zwischen VerfahrenspflegerIn und Kind
2.1 Persönlicher Kontakt zum Kind
Die persönliche Begegnung zwischen InteressenvertreterIn und Kind ist verpflichtend und sollte zu einem frühen Zeitpunkt der Vertretung erfolgen. Bei der Gestaltung der weiteren Treffen (Ort, Dauer, Häufigkeit etc.) sind die Bedürfnisse des Kindes in einer Weise zu berücksichtigen, die keine der Vertretungsrolle unangemessenen Beziehungserwartungen aufkommen lässt oder fördert.
Erfahrungsgemäß kann eine ausschließliche Orientierung an Kriterien wie „Sprachfähigkeit“ oder „Verständigkeit“ dazu führen, dass VerfahrenspflegerInnen keinen persönlichen Kontakt aufnehmen. Doch ist dieser auch mit sehr jungen oder geistig behinderten Kinder zu suchen, um einen unmittelbaren Eindruck von der Gefühlswelt des Kindes, seinem Zuhause und seiner Interaktion mit wichtigen Bezugspersonen zu gewinnen.
Es wird zu den seltensten Ausnahmefällen zählen, dass VerfahrenspflegerInnen auf die persönliche Begleitung und Beratung des Kindes verzichten müssen. Einziges Kriterium dieser schwerwiegenden Entscheidung ist die begründete Sorge, dem Kind hierdurch weitere Schäden zuzufügen.

2.2 Verständigung mit dem Kind
Das Kind bedarf einer Interessenvertretung, die seine Äußerungen ernst nimmt und sich um Verständnis bemüht.
Die Fähigkeiten – auch jüngerer - Kinder zur Verständigung über ihre Wahrnehmungen und Vorstellungen sowie zur Reflexion ihrer Lebenssituation sollten nicht unterschätzt werden. VerfahrenspflegerInnen sollten jedoch auch um die Bedeutung einer der sprachlichen Kommunikation nicht zugängigen Erlebenswelt des Kindes wissen, die insbesondere konflikthafte und belastende Erfahrungen, Gefühle und Vorstellungen umfassen kann. Insbesondere seelisch verletzte Kinder neigen dazu, sich durch symbolische Handlungen und Inszenierungen mitzuteilen. So sollten Wege gesucht werden, um sich hierüber – z.B. auf einer spielerischen oder kreativen Ebene – zu verständigen, ohne das Kind in einer überfordernden Weise mit diesen Bereichen zu konfrontieren.
Ein Kind, das die deutsche Sprache nicht versteht, hat Anspruch auf eine Übersetzungshilfe, die ihm sympathisch ist, Vertraulichkeit wahrt und von seinem familialen und sozialen Umfeld unabhängig ist.

2.3 Die Anfangsphase der Vertretung
Die Rolle und Aufgaben der Interessenvertretung sowie Anlass und Ablauf des gerichtlichen Verfahrens sind in einer dem Kind verständlichen Weise zu besprechen, wann immer dies erforderlich ist. VerfahrenspflegerInnen sollten dem Kind keine absolute Verschwiegenheit zusichern, ihm jedoch versprechen, es über ihr Vorgehen zu informieren.
Das gegenseitige Kennenlernen sollte mit Rücksicht auf die Belastungen des Kindes behutsam und bedacht erfolgen. In der Regel empfiehlt sich eine zügige Kontaktaufnahme, um einen persönlichen Eindruck von der Lebenssituation des Kindes zu gewinnen und ihm alle erforderlichen Informationen zu geben.
Das Studium der Gerichtsakten (vgl. 4.2) bietet eine gute Grundlage, um die erste Kontaktaufnahme vorzubereiten. So kann sich hier bereits die Notwendigkeit zeigen, sich in spezifische Fachliteratur einzuarbeiten, um mit den Problemlagen des Kindes angemessen umzugehen.
Modalitäten der Kontaktaufnahme sollten mit den Betreuungspersonen des Kindes beraten werden. Es kann allerdings auch im Interesse des Kindes ratsam sein, bereits vor dem ersten Treffen mit dem Kind Verbindung zu anderen Bezugspersonen aufzunehmen
Sobald das Kind hierzu in der Lage ist, sollen Begegnungen und Gespräche ohne die Anwesenheit anderer Bezugspersonen erfolgen. Grundsätzlich ist bei der Gestaltung der Treffen zu berücksichtigen, ob das Kind durch den Aufenthalt an einem bestimmten Ort beeinflusst oder verunsichert werden könnte.
VerfahrenspflegerInnen sollten frühzeitig mit dem Kind klären, ob es Personen gibt, denen es vertraut. Sprechen keine Gründe dagegen, ist die Kooperation mit diesen Vertrauenspersonen anzustreben.

2.4 Information und Beratung des Kindes
Das Kind hat Anspruch auf Information und Beratung während des gesamten Verfahrens. Diese sollen an dem Entwicklungsstand und der Konfliktlage des Kindes orientiert sein und ihm helfen, sich aktiv mit seiner Situation zu befassen sowie an dem seine Zukunft betreffenden Verfahren mitzuwirken.
Grundsätzlich bedarf es einer möglichst anschaulichen Darstellung der Rolle aller Beteiligten, des Verfahrensablaufes, der Rechte des Kindes im Verfahren sowie der Entscheidungsalternativen des Gerichtes. Das Kind soll wissen, dass seine Wünsche, Erwartungen und Befürchtungen für die richterliche Entscheidungsfindung von Bedeutung sind.
Um Belastungen des Kindes zu reduzieren, sollten VerfahrenspflegerInnen von sich aus mit dem Kind regelmäßig den Verfahrensstand besprechen, auch wenn dieser formal unverändert geblieben ist.
Erfahrungsgemäß beeinflusst die eigene Haltung gegenüber den Wünschen des Kindes sowie gegenüber den Entscheidungsalternativen den Beratungsprozess. VerfahrenspflegerInnen sollten sich deshalb insbesondere das Risiko einer Manipulation des Kindes vergegenwärtigen.
Überforderungen des Kindes, wie sie beispielsweise durch das Aufdrängen einer Entscheidung für oder gegen wichtige Bezugspersonen hervorgerufen werden können, sind zu vermeiden.

2.5 Erreichbarkeit für das Kind
VerfahrenspflegerInnen sollen dem Kind anbieten, sich mit dringenden Problemen, die das Verfahren, die dort anstehenden Entscheidungen sowie ihre Vorgehensweise betreffen, an sie zu wenden. So sollte das Kind wissen, wann und wie es seine Vertretung erreichen kann.
Es kann sich z.B. empfehlen, dem Kind nicht nur die entsprechende Adresse und Rufnummer sondern auch eine Telefonkarte zu geben. Die Ansage auf dem Anrufbeantworter sollte das Kind ermutigen, eine Nachricht zu hinterlassen. VerfahrenspflegerInnen sollten dafür sorgen, dass sich ihre MitbewohnerInnen bzw. KollegInnen nicht auf inhaltliche Telefonate bzw. Gespräche mit dem Kind oder anderen Verfahrensbeteiligten einlassen.

2.6 Der Wille des Kindes
VerfahrenspflegerInnen sind GarantInnen dafür, dass Kindern und Jugendlichen eine Subjektstellung im gerichtlichen Verfahren eingeräumt wird. Da die gerichtliche Entscheidung von maßgeblicher Bedeutung für die Zukunft des Kindes ist, soll sie nicht über seinen Kopf hinweg erfolgen. Das Kind hat grundsätzlich Anspruch darauf, dass sein Wille ernst genommen wird und eine Resonanz der am Verfahren beteiligten Erwachsenen bewirkt.
Die Ermittlung des Kindeswillens setzt neben kommunikativen Kompetenzen ein spezifisches Fachwissen über die Willensbildung von Kindern und Jugendlichen voraus. Dies sollte insbesondere die Bedeutung der Bindungen des Kindes an wichtige Bezugspersonen - gleich welcher Qualität diese Beziehungen sind – sowie die unvermeidliche Beeinflussung des Kindes durch diejenigen Erwachsenen, an denen es sich orientiert und mit denen es sich identifiziert, umfassen. Entsprechende Kenntnisse sind insbesondere hinsichtlich der Begleitung und Vertretung vernachlässigter, misshandelter oder sexuell missbrauchter Kinder erforderlich, deren eigene Bedürfnisse ignoriert und deren Wille nicht beachtet, gebrochen oder manipuliert wurde. Des weiteren sollten VerfahrenspflegerInnen in der Lage sein, Auswirkungen der unsicheren Lebenssituation und des schwebenden Verfahrens auf die Willensbildung zu berücksichtigen.
Wird der Kindeswille seitens der Verfahrensbeteiligten oder des Gerichtes allein deshalb für unbeachtlich erklärt, weil er durch diejenigen Erwachsenen, an denen sich das Kind orientiert, beeinflusst worden sei, sollten sich VerfahrenspflegerInnen gegen diese Entwertung des subjektiven Erlebens und Wollens des Kindes wenden.
Soll ein Kind während des Verfahrens z.B. durch Drohungen oder emotionale Erpressungen anderer am Verfahren beteiligter Personen zu bestimmten Haltungen oder Äußerungen gebracht werden, nehmen es VerfahrenspflegerInnen in Schutz und stehen ihm bei der Bewältigung solcher Vorkommnisse zur Seite. Gegebenenfalls sollten dem Gericht Umgangsregelungen vorgeschlagen werden, die eine solche Bedrängung und Manipulation der Selbstbestimmung des Kindes ausschließen.
VerfahrenspflegerInnen sollten sich vergegenwärtigen, dass auch sie einen Einfluss auf das Kind ausüben und reflektieren, welches pädagogische Verhältnis die Eigenverantwortlichkeit des Kindes zu fördern vermag, welche Orientierung sie also dem Kind bei der Bestimmung und Vertretung seiner Interessen vermitteln. Dies schließt in aller Regel die Vertretung solcher Kindespositionen aus, in denen der Schutz der seelischen, geistigen oder körperlichen Integrität des Kindes nicht gewährleistet ist.
VerfahrenspflegerInnen fördern die Fähigkeit zur Selbstbestimmung eines Kindes, indem sie im Dialog mit dem Kind deutlich machen, von welchen Überlegungen und Erfahrungen sie sich bei ihren fachlichen Empfehlungen und ihrer Vorgehensweise leiten lassen.
Möchte das Kind dem Gericht seine Vorstellungen direkt mitteilen, suchen VerfahrenspflegerInnen gemeinsam mit ihm nach geeigneten Ausdrucksformen, durch die es seine Position in das Verfahren einbringen kann. Dies können – neben der Kindesanhörung – z. B. bei jüngeren Kindern mit ihren Kommentaren versehene Bilder, bei älteren Kindern und Jugendlichen diktierte oder auf Kassette gesprochene oder selbst verfasste Mitteilungen an das Gericht sein.

2.7 Begleitung und Vertretung des Kindes
Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf eine umsichtige und einfühlsame Begleitung durch ihre Interessenvertretung während des gesamten Verfahrens. VerfahrenspflegerInnen sind zugleich verpflichtet, für die Verwirklichung der Beteiligungs-, Anhörungs- und Beschwerderechte der Kinder und Jugendlichen im Verfahren einzutreten.
Grundsätzlich stellen sich im zivilrechtlichen Kindesschutzverfahren u.a. folgende Anforderungen an die Interessenvertretung:
Kindesanhörung (§ 50 b FGG): In der Regel haben Kinder und Jugendliche aller Altersstufen das Recht auf eine persönliche Begegnung mit dem/der entscheidenden RichterIn. Diese Verfahrensvorschrift wird in der gerichtlichen Praxis insbesondere bei jüngeren Kindern nicht selten unzureichend befolgt, obwohl ihre Neigungen, Bindungen und ihr Wille für die Entscheidung bedeutsam sind. Erscheint es aus fachlicher Sicht geboten, dass das Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind gewinnt, oder wünscht sich das Kind selbst ein Gespräch, sollten VerfahrenspflegerInnen dies anregen und fachliche Empfehlungen hinsichtlich des Zeitpunktes, des Ortes und der Dauer der Kindesanhörung aussprechen. Vor und nach der richterlichen Anhörung sollten VerfahrenspflegerInnen für das Kind präsent und ansprechbar sein. Ob sich ihre unmittelbare Anwesenheit in der Gesprächssituation empfiehlt, ist im Einzelfall gemeinsam mit dem Gericht zu erwägen.
Hilfeplanung (§ 36 Abs. 2 KJHG) und Beratung (§ 8 Abs. 1 S. 2 KJHG): VerfahrenspflegerInnen sollten gemeinsam mit dem/der zuständigen MitarbeiterIn des Jugendamtes nach Wegen suchen, das Kind zu informieren, zu beraten und in einer an seinem Entwicklungsstand und seinen Bedürfnissen orientierten Weise an der Hilfeplanung zu beteiligen. Den Kindern und Jugendlichen ist die eigene Rolle bei der Hilfeplanung zu erklären und Unterstützung bei der Äußerung ihrer Vorstellungen und Bedürfnisse anzubieten, insbesondere wenn sie direkt an Hilfeplanungsgesprächen teilnehmen.
Sachverständigengutachten (§ 12 FGG): Es empfiehlt sich, bereits vor der Begutachtung den Kontakt mit den Sachverständigen zu suchen, um das Kind angemessen hierauf vorzubereiten. Wird eine Weitergabe von Informationen erforderlich, sollte dies mit dem Kind oder Jugendlichen besprochen werden. Wird in diesen Gesprächen erkennbar, dass ein Kind oder ein-e Jugendliche-r die Begutachtung vehement ablehnt, sollte ein unverzüglicher Hinweis an das Gericht erfolgen. Vor und nach einer Begutachtung sollten VerfahrenspflegerInnen für das Kind präsent und ansprechbar sein. Ob sich ihre unmittelbare Anwesenheit in der Gesprächssituation empfiehlt, ist im Einzelfall gemeinsam mit dem / der Sachverständigen zu erwägen.
Beschwerderecht (§ 59 FGG): Jugendliche sollten von ihren VerfahrenspflegerInnen über ihr Beschwerderecht beraten und bei dessen Ausübung unterstützt werden. In Fällen, in denen ihr Wille in erheblichen Konflikt mit ihren wohlverstandenen Interessen gerät, kann es sich empfehlen, den Jugendlichen zu einer zusätzlichen Inanspruchnahme eines eigenen Rechtsbeistandes im Beschwerdeverfahren zu raten.

3. Grundlegende Arbeitsprinzipien
VerfahrenspflegerInnen entscheiden in eigener fachlicher Verantwortung, in welcher Weise sie die ihnen gestellte Aufgabe erfüllen. Sie orientieren sich an den gesetzlichen Grundlagen, d.h. sie vermitteln den Willen des Kindes im gerichtlichen Verfahren und vertreten dort seine wohlverstandenen Interessen.

3.1 Kindliches Zeiterleben und Verfahrensdauer
Mit Rücksicht auf das kindliche Zeiterleben sollen VerfahrenspflegerInnen allen Verzögerungen entgegentreten, die sich nicht mit den Interessen des Kindes decken.
Entwicklungsbedingt unterscheiden sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Erleben und in ihrer Vorstellungsfähigkeit von Zeitabläufen und Lebensentwürfen. Die Ungewissheit des Kindes über seine Zukunft verletzt sein grundlegendes Entwicklungsbedürfnis nach Sicherheit und Zuverlässigkeit, d.h. nach einer stabilen Bindung an zumindest eine erwachsene Person.
Belastungen, die dem Kind aus der Ungewissheit über den Stand und Ausgang des Verfahrens und damit über seine Zukunft entstehen, sind zu reduzieren. VerfahrenspflegerInnen sollten diesen Gesichtspunkt gegenüber dem Gericht und allen am Verfahren Beteiligten thematisieren.
VerfahrenspflegerInnen sollten insbesondere darauf achten, dass dem Kind eine vorläufige Unterbringung nur dann und nur solange zugemutet wird, wie es diese braucht, um sich überhaupt mit entsprechender fachlicher Unterstützung auf neue befriedigende Beziehungen einlassen zu können.

3.2 Kindzentrierte Gestaltung der Ermittlungen und des Verfahrens
VerfahrenspflegerInnen stellen sicher, dass das Kind in jedem Stadium des Verfahrens in seiner Individualität und besonderen Schutzbedürftigkeit wahrgenommen und geachtet wird.
Die Lebenserfahrungen und Bedürfnisse des Kindes sind wieder und wieder in das Zentrum des Verfahrens zu rücken. VerfahrenspflegerInnen sollten sich bei ihrem Vorgehen und ihrem Verhalten von der Vorstellung leiten lassen, dass es um die Klärung und Gestaltung der künftigen Beziehungen des Kindes geht und das Verfahren schon deshalb nicht als Kampfarena widerstreitender Parteien dient. Dieser Aspekt ist insbesondere zu beachten, wenn im Interesse des Kindes Konflikte mit anderen am Verfahren beteiligten Personen und Institutionen riskiert werden müssen.
Um Belastungen und Sekundärschädigungen des Kindes durch (mehrfache) Befragungen und Untersuchungen zu vermeiden, sollten VerfahrenspflegerInnen prüfen, ob eine Klärung des entsprechenden Sachverhaltes tatsächlich im Kindesinteresse oder aber letztlich im Interesse anderer Personen oder Institutionen liegt. Ebenso sollte die Interessenvertretung endlosen Weiterverweisungen des Kindes und seiner Bezugspersonen zwischen Institutionen und ExpertInnen entgegenwirken.

Re: Standards für Verfahrenspfleger - Teil 2

3.3 Vertretung der Interessen von Geschwisterkindern
Die Erfahrung zeigt, dass Gerichte allzu pauschal eine einzige Fachkraft zur Interessenvertretung mehrerer Geschwister bestellen, ohne die Individualität und Zukunftsperspektiven der einzelnen Kinder sowie deren Beziehungen zueinander hinreichend zu bedenken. Es empfiehlt sich, diese Vorgehensweise frühzeitig zu hinterfragen und gegebenenfalls die Bestellung einer eigenständigen Vertretung für jedes einzelne Kind anzuregen.
Werden VerfahrenspflegerInnen zur Vertretung mehrerer Geschwister bestellt, sind Einzelgespräche mit jedem Kind zu führen. Das Risiko einer unzulänglichen Bestimmung und Vertretung der individuellen Interessen des jeweiligen Kindes lässt sich am ehesten durch Fallbesprechungen begrenzen.
Im übrigen sollten VerfahrenspflegerInnen grundsätzlich im Blick behalten, ob auch die Interessen von Geschwistern des Kindes, das sie vertreten, gewahrt sind. Sei es, dass auch über deren Interessen im Verfahren entschieden wird, sei es, dass sie sich in einer kritischen Lebenssituation befinden, ohne dass ein Verfahren eingeleitet wurde.

3.4 Grundsatz der Vertraulichkeit, Umgang mit Medien
Auch wenn es bislang an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung fehlt, verpflichten sich VerfahrenspflegerInnen zum Schweigen gegenüber Außenstehenden sowie zur Einhaltung von Datenschutzbestimmungen.
Ungeklärt ist, ob VerfahrenspflegerInnen ein Zeugnisverweigerungsrecht in gerichtlichen Verfahren, insbesondere im Strafverfahren, geltend machen können. Solange eine gesetzliche Regelung fehlt, bleibt diese Klärung der Rechtsprechung überlassen.
Werden VerfahrenspflegerInnen in einem Fall tätig, über den seitens der Medien berichtet wird oder werden soll, so sind sie GarantInnen für den Schutz der Persönlichkeitsrechte des betroffenen Kindes. So sollten sie keine fallbezogenen Auskünfte geben und sich gegebenenfalls auf eine allgemeine Klarstellung ihrer Aufgaben, Rechte und Pflichten beschränken.

3.5 Umgang mit Drohungen und Gewalt
Sind VerfahrenspflegerInnen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit Drohungen oder gewalttätigem Verhalten ausgesetzt oder haben sie entsprechende Befürchtungen, ist dies als ein Hinweis auf die mögliche Gefährdung des Kindes zu begreifen. Bei Drohungen sollten VerfahrenspflegerInnen das bestellende Gericht unverzüglich in Kenntnis setzen. Es empfiehlt sich, in einem solchen Fall die praktische und beratende Unterstützung weiterer Personen zu suchen. Zur Reflexion der Auswirkungen auf die Begleitung des Kindes sollte Beratung bzw. Supervision in Anspruch genommen werden.

3.6 Reflexion
VerfahrenspflegerInnen sollten über Möglichkeiten zur Reflexion und kritischen Distanzierung von ihrer Arbeit verfügen, auf die sie bei der Übernahme einer Verfahrenspflegschaft zurückgreifen können. Hierfür bieten sich neben einer schriftlichen Reflexion insbesondere Supervision, Balint-Gruppen sowie Fallbesprechungen mit anderen VerfahrenspflegerInnen an.
Diese Reflexion sollte insbesondere eine Auseinandersetzung mit der eigenen Motivation, Betroffenheit und persönlichen Kindheitserfahrungen ermöglichen. Sie dient zugleich der fachlichen Überprüfung der eigenen Rolle, Vorgehensweise und Empfehlungen sowie der Entlastung in Situationen, in denen VerfahrenspflegerInnen unter Handlungsdruck oder Entscheidungszwängen stehen.
VerfahrenspflegerInnen sollten bei der Auswahl ihrer Supervision darauf achten, dass diese sie in ihrem Bemühen um eine auf die Kindesinteressen zentrierte Vorgehensweise unterstützt. Hierfür werden in der Regel solche SupervisorInnen ungeeignet sein, die sich wegen ihrer institutionellen Einbindung oder aufgrund ihres theoretischen Vorverständnisses auch den Interessen der anderen am Verfahren beteiligten Personen und Institutionen verpflichtet sehen.
Weitere Kriterien zur Auswahl entsprechender Supervisionsangebote sind die psychologischen, pädagogischen und juristischen Kenntnisse der SupervisorInnen. Hilfreich sind zudem eigene Erfahrungen der SupervisorInnen in der Arbeit mit belasteten und traumatisierten Kindern und Jugendlichen bzw. in der Supervision von Fachkräften aus diesem Bereich der Jugendhilfe.
Alle an der Reflexion Beteiligten sollten sich schriftlich verpflichten, personen- oder fallbezogene Informationen nicht oder nur vollständig anonymisiert nach außen zu tragen.

4. Vorgehensweise der Interessenvertretung

4.1 Übernahme einer Verfahrenspflegschaft
Bei Anfragen des Gerichtes, eine bestimmte Verfahrenspflegschaft zu übernehmen, sollten VerfahrenspflegerInnen ihre persönliche und fachliche Eignung zur Begleitung und Vertretung dieses Kindes prüfen, um den ungünstigsten Fall zu vermeiden, dass die Aufhebung der Bestellung nötig wird, obwohl das Kind seine/seinen VerfahrenspflegerIn bereits kennen gelernt hat.
Hierbei empfiehlt sich bereits vor der Übernahme einer Verfahrenspflegschaft eine vorläufige Einschätzung der Konfliktlage des Kindes. VerfahrenspflegerInnen sollten ihre Möglichkeiten und Schwierigkeiten erkennen, sich auf das Erleben und die Gefühlswelt dieses Kindes einzulassen. Gleichermaßen geht es um ihre persönliche Fähigkeit, hiervon den Abstand zu gewinnen, den es zur fachlichen Reflexion des eigenen Handelns und der Situation des Kindes bedarf. Neben ihrer Eignung sollten VerfahrenspflegerInnen prüfen, ob sie die Begleitung und Vertretung des Kindes bis zum Ende des Verfahrens übernehmen können.
Besonderen Problemlagen des Kindes sollte mit Hilfe von ExpertInnen begegnet werden: z.B. durch kinderpsychiatrische oder heilpädagogische Beratung bei seelischen, geistigen oder körperlichen Krankheiten bzw. Behinderungen, durch Rechtsberatung zum Internationalen Privatrecht, durch Beratung über ethnische Minderheiten, Sekten etc. Die Notwendigkeit solcher Informations- und Beratungsgespräche sollte frühzeitig mit dem Gericht geklärt werden.
Anfragen von Privatpersonen oder Institutionen, die verständlicherweise Einfluss auf die Auswahl der Kindesvertretung zu nehmen versuchen, sollten möglichst allgemein beantwortet werden. Hierzu können Informationen über die Rolle und Aufgabenstellung der Interessenvertretung sowie über die eigenen Kapazitäten zur Übernahme einer Vertretung zählen; eine Stellungnahme zum konkreten Fall sollte hingegen vermieden werden.
Bedarf das Kind einer eigenständigen Interessenvertretung im Jugendhilfeverfahren, sollte ein Entzug der entsprechenden elterlichen Vertretungsrechte und die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft i.S.d. §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 Abs. 2, 1909 Abs. 1 S. 1 BGB angeregt werden. VerfahrenspflegerInnen ziehen auch frühzeitig in Betracht, ob neben der Verfahrenspflegschaft auch ein Verletztenbeistand zur Begleitung des Kindes in einem strafrechtlichen Verfahren erforderlich ist.
Falls ein Kind sowohl im zivil- als auch im strafrechtlichen Verfahren eine Interessenvertretung benötigt, sollte geprüft werden, ob diese Aufgaben durch eine einzige Person oder durch zwei Fachkräfte verschiedener Disziplinen wahrgenommen werden sollten. Hier ist insbesondere das Bedürfnis des Kindes nach einer einzigen Ansprechperson gegen Rollenkonflikte der Interessenvertretung abzuwägen, die durch unterschiedliche Vertretungsaufgaben und -ziele hervorgerufen werden könnten.

4.2 Aktenstudium und Auswertung
VerfahrenspflegerInnen sollten in ihrer Eigenschaft als Verfahrensbeteiligte unverzüglich Akteneinsicht nehmen und sich eine Kopie der Gerichtsakten anfertigen (§ 34 FGG).
Es empfiehlt sich, bereits während des Aktenstudiums eine Zeittafel sowie eine Aufstellung des Sachverhalts, der involvierten Institutionen sowie der beteiligten Personen zu erarbeiten, die einen Überblick über die Lebensgeschichte und die aktuelle Lebenssituation des Kindes ermöglichen. Von zentraler Bedeutung ist bereits hier das Bemühen, sich in dieses Kind einzufühlen und seine Erlebnisse und Erfahrungen nachzuvollziehen. Dabei sollten von Beginn an auch eigene Assoziationen und Annahmen sowie alle Unklarheiten, Widersprüche und sich daraus ergebende Fragen notiert werden.
Ermöglichen die Gerichtsakten keinen ausreichenden Aufschluss über die bisherige Vorgehensweise und Hilfeplanung des Jugendamtes, empfiehlt sich eine direkte Nachfrage beim Jugendamt sowie eine Anregung an das Gericht, die Akten um eine entsprechende Schilderung dieser Sachverhalte ergänzen zu lassen.

4.3 Eigenständige Gewinnung von Informationen

4.3.1 Gespräche mit Bezugspersonen und Fachkräften
Das Gespräch mit den aktuellen Betreuungspersonen des Kindes ist verpflichtend. Gleiches gilt auch für Gespräche mit Eltern und Pflegeeltern sowie den MitarbeiterInnen des Jugendamtes.
Ebenso sollte geprüft werden, welche anderen für das Kind zuständigen Fachkräfte, wie z.B. HeimerzieherInnen, Kindergarten- oder HorterzieherInnen, LehrerInnen, TherapeutInnen, ÄrztInnen und BeraterInnen dazu beitragen könnten, die Lebensgeschichte und -situation des jeweiligen Kindes zu erhellen. Analog gilt dies auch für das soziale Umfeld des Kindes, dies können z.B. Eltern, Pflegeeltern, VormünderInnen, Geschwister, andere Angehörige, FreundInnen des Kindes und NachbarInnen sein.
VerfahrenspflegerInnen sollten die Gefühle, die das Kind seinen Bezugspersonen entgegenbringt, respektieren und zur Festigung und Weiterentwicklung dieser Beziehungen beitragen, soweit dies zu verantworten ist. Hierbei sollte die immer wieder auflebende Tendenz zur Bagatellisierung oder Umdeutung belastender und traumatisierender Erfahrungen des Kindes beachtet werden, der durch eine klare Benennung der Verantwortlichen und ihres Verhaltens begegnet werden sollte.
VerfahrenspflegerInnen werden oft mit Notlagen und Situationen konfrontiert, in denen die Eltern des Kindes eines psychologischen, sozialarbeiterischen oder juristischen Beistandes bedürfen. Um die Interessen des Kindes konsequent wahrnehmen zu können, sollten VerfahrenspflegerInnen sich selbst und den anderen Beteiligten klar machen, dass es nicht zu ihren Aufgaben gehört, für Abhilfe zu sorgen. Auch wenn eine solche Hilfe durchaus im Interesse des Kindes zu liegen scheint, sind hierfür neben den betroffenen Erwachsenen selbst auch andere Fachkräfte und Institutionen, insbesondere das Jugendamt, zuständig und verantwortlich. Um eigene Rollenkonflikte zu vermeiden, können sich entsprechende Hinweise an diese Stellen empfehlen.
Beabsichtigen VerfahrenspflegerInnen dem Gericht gegenüber eine bestimmte Hilfe für das Kind oder seine Familie vorzuschlagen oder zu bewerten, verschaffen sie sich eine realistische Grundlage für diese Prognose, indem sie sich unmittelbar mit denjenigen Fachkräften (bzw. Pflegeeltern) in Verbindung setzen, die diese Hilfe durchführen bzw. anbieten, um deren Eignung im Hinblick auf die Bedürfnisse dieses individuellen Kindes zu prüfen.

4.3.2 Dokumentation
VerfahrenspflegerInnen dokumentieren Anlass, Dauer, Verlauf, Ergebnisse, Eindrücke und offene Fragen der jeweiligen Telefonate und persönlichen Gespräche. Sie schaffen so die Grundlage für ihre Stellungnahmen und die Rechnungslegung und stellen zugleich sicher, dass im Fall einer unvorhersehbaren Verhinderung eine zügige Einarbeitung ihrer/s NachfolgerIn möglich wird.
Besondere Kenntnisse und Sorgfalt erfordert die Gewinnung und Dokumentation solcher Informationen, die das Kind zum gegenwärtigen oder zu einem späteren Zeitpunkt in die Lage versetzen könnten, zivilrechtliche Schadensersatzansprüche geltend zu machen oder die im Hinblick auf ein bereits anhängiges oder mögliches Strafverfahren bedeutsam sind.

4.4 Sachverständige GutachterInnen
Vielfach wird die Interessenvertretung in der Lage sein, das individuelle Erleben des Kindes, seine Entwicklungsbedürfnisse und seine Beziehungserfahrungen eigenständig einzuschätzen. Bedarf es aber zur Klärung einer bestimmten Fragestellung des fachlichen Wissens und der Kompetenz von Sachverständigen, sollte die Einholung eines Gutachtens bei Gericht angeregt werden. Demgegenüber sind Verfahrensverzögerungen und anderweitige Belastungen des Kindes durch die Begutachtung abzuwägen.
Beabsichtigt das Gericht, ein Gutachten einzuholen, regt die Interessenvertretung gegebenenfalls Ergänzungen zur Fragestellung an. Soweit erforderlich, äußern sich VerfahrenspflegerInnen auch über Kriterien zur Auswahl der Sachverständigen. Diese sollten über die zur Klärung der Fragestellung erforderlichen medizinischen und psychologischen Fachkenntnisse sowie über einen ausreichenden Erfahrungshintergrund verfügen.
Gutachten, die im privaten Auftrag von Verfahrensbeteiligten erstellt werden sollen, sind wegen des damit verbundenen Risikos der mehrfachen Begutachtung des Kindes sowie möglicher Bedenken einer Befangenheit der Sachverständigen in der Regel zu vermeiden.
Soweit für die Klärung einer Fragestellung die Begutachtung Erwachsener genügen könnte, ist diese vorrangig anzustreben. Ist die Begutachtung des Kindes selbst nicht zu vermeiden, orientieren sich VerfahrenspflegerInnen an der unter Punkt 2.7 genannten Vorgehensweise.
Bleiben methodische oder inhaltliche Fragen im Hinblick auf ein Gutachten offen oder werden Mängel sichtbar, so sollten VerfahrenspflegerInnen dies mit dem Gericht besprechen.
Im Vorfeld der Begutachtung können sich Hinweise empfehlen, wie Belastungen des Kindes reduziert bzw. vermieden werden können. Hat die Begutachtung das Kind sehr irritiert oder belastet, sollten VerfahrenspflegerInnen dem Gericht und den Sachverständigen eine entsprechende Rückmeldung geben.

4.5 Kooperation mit dem Jugendamt
VerfahrenspflegerInnen respektieren bei der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, dass auch dieses zur Beratung des Kindes sowie zur Wahrnehmung und Vertretung der Kindesinteressen im gerichtlichen Verfahren berufen ist. Es liegt in der Verantwortung und bedarf der Anstrengung aller beteiligten Fachkräfte, die Subjektstellung des Kindes im Verfahren zu garantieren sowie die Grundlage für eine fundierte und tragfähige, an den wohlverstandenen Interessen des Kindes orientierte gerichtliche Entscheidung zu erarbeiten.
VerfahrenspflegerInnen sollten sich diese Gemeinsamkeiten vergegenwärtigen, aber auch das Konfliktpotential beachten, das zwischen der Jugendbehörde und der Kindesvertretung aufgrund der divergierenden gesetzlichen Aufträge - insbesondere bei einer unzureichenden Klärung der Rollen - entstehen kann. So empfiehlt es sich, eine frühzeitige Klarstellung ihrer spezifischen Verantwortlichkeit für das Kind herbeizuführen, die aus dem Verständnis erfolgt, daß sie dessen Interessen anstelle der gesetzlichen Vertreter wahrnehmen und repräsentieren.
Das Jugendamt sollte unmittelbar nach der Bestellung informiert werden, dass der / die VerfahrenspflegerIn künftig als eine der verantwortlichen Fachkräfte gemäß § 36 Abs. 2 KJHG an der Hilfeplanung und an vergleichbaren, die Hilfeplanung betreffenden Fachgesprächen mit amtsexternen Fachkräften, teilnehmen wird. Nach Auswertung der Gerichtsakten ist es ratsam, sich über neuere Entwicklungen sowie die aktuelle Position des Jugendamtes zu informieren und offene Fragen bezüglich der bisherigen Hilfeplanung zu klären. Es kann sich empfehlen, um Einsichtnahme in die behördlichen Akten zu bitten und sich gegebenenfalls auch mit früher zuständigen JugendamtsmitarbeiterInnen in Verbindung zu setzen.
Die Anwesenheit der VerfahrenspflegerInnen während der Hilfeplangespräche ist obligatorisch. Nehmen die Jugendlichen und Kinder selbst hieran teil, sollten sie von ihrer Interessenvertretung begleitet und unterstützt werden (vgl. Punkt 2.7). Ansonsten bedarf es der einzelfallbezogenen Abwägung, wie weit sich VerfahrenspflegerInnen selbst am Prozess der Hilfeplanung beteiligen. Dies kann insbesondere notwendig sein, wenn bedeutsame Entscheidungen anstehen, wie zum Beispiel über die Unterbringung des Kindes außerhalb des Elternhauses oder die Rückführung in dasselbe sowie über den Umgang mit wichtigen Bezugspersonen. Andererseits kann sich eine aktive Mitwirkung von VerfahrenspflegerInnen an der Hilfeplanung hinderlich auf deren kritische Reflexion auswirken, welche aber gerade eine zentrale Grundlage der Empfehlungen der eigenständigen Kindesvertretung an das Gericht ist.

5. Vertretung der Kindesinteressen im Verfahren

5.1 Mitteilungen an das Gericht Stellungnahmen sollten die Vorgehensweise und fachlichen Bewertungskriterien der Kindesvertretung offen legen; sie sollten prinzipiell zügig erarbeitet werden.
Um dem individuellen Kind in diesen schriftlichen Berichten Gestalt zu geben, ist es erforderlich, die Erfahrungen, Bedürfnisse, Wünsche und das Erleben des Kindes einfühlsam und anschaulich zu vermitteln sowie die Bedeutung herauszuarbeiten, welche das Verfahren und die gerichtliche Entscheidung im Leben dieses Kindes haben.
Grundsätzlich sollten alle wichtigen Mitteilungen auch schriftlich zu den Akten gegeben werden. Dies ist insbesondere hinsichtlich künftiger Beschwerden bzw. späterer gerichtlicher Entscheidungen über die Abänderung eines Beschlusses (§ 1696 BGB) ratsam. Allerdings sollte bedacht werden, ob Informationen der Kindesvertretung in einem anderen Zusammenhang (z.B. Jugendstrafverfahren) gegen das Kind verwendet werden könnten.
Bei der Auswertung ihrer Gespräche und Begegnungen mit dem Kind und mit anderen Personen bemühen sich VerfahrenspflegerInnen um eine möglichst authentische Wiedergabe. Hierbei sollte auf widersprüchliche Informationen oder Sachverhaltsdarstellungen eingegangen und zwischen gesicherten Kenntnissen, begründeten Annahmen, Beobachtungen und Eindrücken differenziert werden. Es empfiehlt sich, Schlussfolgerungen und Empfehlungen in einem eigenen Abschnitt der Stellungnahme zu erörtern.

5.2 Abschließende Stellungnahme
VerfahrenspflegerInnen geben ihre abschließenden Empfehlungen zur gerichtlichen Entscheidung in Form einer schriftlichen Stellungnahme über die wohlverstandenen Interessen des Kindes ab. Zusätzlich sollte auch der Wille des Kindes in möglichst authentischer Weise wiedergegeben werden.
Bestandteile der abschließenden Stellungnahme sind in der Regel
- Schilderung des Sachverhaltes
- Dokumentation des Kindeswillens
- Schlussfolgerungen und Empfehlungen.

5.2.1 Schilderung des Sachverhaltes
In diesem ersten Teil der abschließenden Stellungnahme sollten die persönlichen Daten des Kindes genannt werden, auch empfiehlt sich eine Skizze vom Stand des Verfahrens zum Zeitpunkt der Bestellung. Im wesentlichen wird bei der Schilderung des Sachverhaltes sodann auf die Lebensgeschichte sowie die frühere und gegenwärtige Familiensituation des Kindes oder Jugendlichen einzugehen sein. Hinsichtlich der Lebensgeschichte sollten – unter Hinweis auf Lebensalter und Entwicklungsstand des Kindes bei bedeutsamen Ereignissen - insbesondere folgende Gesichtspunkte Berücksichtigung finden:
- das Erleben des Kindes oder des/der Jugendlichen
- die Befriedigung seiner/ihrer Grundbedürfnisse
- die Qualität und Intensität seiner/ihrer Bindungen
- die Bedeutung wichtiger Bezugspersonen, Geschwister und FreundInnen
- die Auswirkungen traumatischer und deprivierender Erfahrungen
- die biographische Bedeutung erzieherischer und therapeutischer Hilfen
- die eigene Sicht des Kindes oder des/der Jugendlichen.
Von besonderer Bedeutung ist weiterhin eine anschauliche Darstellung der gegenwärtigen Lebenssituation des Kindes, bei der die o.g. Aspekte erneut aufgegriffen werden sollten. Hier geht es sowohl um die Annäherung an das subjektive Erleben des Kindes sowie um eine fachlich fundierte Bewertung, ob diese Situation geeignet ist, die Grundbedürfnisse dieses Kindes zu befriedigen, seine Entwicklung zu fördern und ihm Schutz zu bieten.

5.2.2 Dokumentation des Kindeswillens
Der Wille des Kindes ist in einem eigenen Abschnitt der Stellungnahme an das Gericht zu vermitteln, wobei an dieser Stelle eigene Erläuterungen und Bewertungen vermieden werden sollen.
Insbesondere mit jüngeren Kindern sollte nach kreativen Wegen gesucht werden, die es ihnen entsprechend ihres Entwicklungsstandes ermöglichen, sich dem Gericht mitzuteilen, falls sie dies wünschen. Ältere Kinder und Jugendliche sollten die Möglichkeit haben, diesen Abschnitt selbst zu schreiben. Sofern dieser Teil nicht allein von den Jugendlichen bzw. Kindern verfasst wird, sollte er mit ihnen abgestimmt werden, um eine möglichst authentische Vermittlung ihrer Vorstellungen zu sichern.

5.2.3 Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Kindesvertretung sollten in einem gesonderten Abschnitt der Stellungnahme gut begründet und verständlich dargestellt werden.
Hier sollte eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den Einschätzungen und Vorschlägen der anderen am Verfahren beteiligten Personen und Institutionen erfolgen und herausgearbeitet werden, inwieweit nicht nur die Interessen des Kindes sondern auch deren Eigeninteressen eine Rolle spielen.
Es bedarf besonderer Anstrengung, Diskriminierungen des Kindes und anderer Verfahrensbeteiligter zu erkennen und zu vermeiden. Bei ihren Empfehlungen sollten VerfahrenspflegerInnen bedenken, dass ihre Einschätzungen durch ihre Lebensgeschichte, ihren sozialen und familiären Status, ihr Geschlecht, ihre soziokulturelle Einbindung sowie politische und religiöse Haltungen, fachliche Überzeugungen sowie durch Aversionen bzw. Sympathien gegenüber den am Verfahren beteiligten Personen geprägt werden.
VerfahrenspflegerInnen orientieren ihre Empfehlungen an den wohlverstandenen Interessen des Kindes. Ausgehend vom Anlass des Gerichtsverfahrens und unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der eigenen Ermittlungen legen sie die Umstände des Einzelfalls möglichst konkret dar. Treffen sie Aussagen über die am wenigsten schädliche Alternative für das Kind bzw. über sein Wohl und dessen Gefährdung, orientieren sie sich an den gesetzlichen Kriterien, die durch die Rechtsprechung und die interdisziplinäre Fachdiskussion konkretisiert werden. Fachlich fundierte Prognosen sollen stets auf den konkreten Umständen des Einzelfalls basieren. Unwägbarkeiten und Zweifel sollten erörtert werden.
Grundsätzlich lassen sich VerfahrenspflegerInnen von der Vorstellung leiten, dass der Kindeswille ein integraler Bestandteil des Kindeswohls ist. Sie sollten deshalb in ihren Empfehlungen diejenigen Entscheidungsalternativen aufzeigen, die am weitesten mit den Wünschen des Kindes oder Jugendlichen zu vereinbaren sind. Ist es aus fachlicher Sicht nicht möglich, dem Willen des Kindes zu entsprechen, ohne das körperliche, geistige und seelische Wohl und die Entwicklung des Kindes zu gefährden, ist die weniger schädliche Alternative zu suchen und zu vertreten. Um diese zu bestimmen, bedarf es einer besonderen Beachtung der Bedürfnisse des Kindes, die in seinen Wünschen und Erwartungen zum Ausdruck kommen. In ihrer Stellungnahme sollten VerfahrenspflegerInnen sorgfältig begründen, weshalb sie vom Willen des Kindes abweichen oder gegenläufige Empfehlungen abgeben und die Chancen und Risiken der jeweiligen Alternativen offen legen.
In der Regel wird an dieser Stelle eine fachliche Auseinandersetzung mit dem separat dokumentierten Kindeswillen erforderlich sein. Ebenso sollte auf die Bedeutung anderweitiger (auch widersprüchlicher, ambivalenter, mehrdeutiger) verbaler und nonverbaler Mitteilungen des Kindes sowie auf deren situativen Kontext eingegangen werden. Nicht zuletzt können insbesondere Hinweise auf die Manipulation des Kindes oder offene Drohungen eine wichtige Grundlage der gerichtlichen Entscheidung über die Berücksichtigung des Kindeswillens sein.
Um Problemen bei der praktischen Umsetzung der richterlichen Entscheidung zu begegnen, kann die Bestellung von ErgänzungspflegerInnen erforderlich sein. Für diese Aufgabe wird es oftmals zweckmäßig sein, sich im Interesse des Kindes selbst zur Verfügung stellen. Entsprechende Überlegungen sollten - bezogen auf die jeweiligen Entscheidungsalternativen - in der abschließenden Stellungnahme angesprochen werden.

5.3 Gerichtliche Verhandlungen
Die Teilnahme an jeder mündlichen Verhandlung im Verfahren ist obligatorisch. Bei der Festlegung der Verhandlungstermine sollten VerfahrenspflegerInnen ihren Einfluss geltend machen, um im Interesse des Kindes einen möglichst zügigen Verfahrensablauf zu gewährleisten. Um Subjekt des Geschehens zu bleiben, hat das Kind Anspruch darauf, umfassend und zeitnah über jede Verhandlung informiert zu werden und seine Erwartungen und Befürchtungen äußern zu können.
Während der Verhandlung sollte das Kind, insbesondere sein Befinden, seine Bedürfnisse, seine Wünsche und seine sonstigen Interessen, im Zentrum des gemeinsamen Gespräches stehen. Beim Vortrag der Kindesposition sowie eigener Ermittlungen und Empfehlungen sollte eine Bezugnahme auf die verschiedenen Entscheidungsalternativen erfolgen.
Nach einer Verhandlung setzen sich VerfahrenspflegerInnen unverzüglich mit dem Kind oder Jugendlichen in Verbindung, erklären und besprechen deren Ergebnis sowie die für das Kind bedeutsamen Konsequenzen. Von dem Verlauf des Gespräches über den abschließenden Verhandlungstermin sollte das Gericht in der Regel in Kenntnis gesetzt und ein entsprechender Bericht zu den Akten gegeben werden. Erscheint aus pädagogischer Sicht ein persönliches Gespräch des Kindes oder Jugendlichen mit dem / der für die Entscheidung verantwortlichen RichterIn sinnvoll und erforderlich, sollten VerfahrenspflegerInnen dies anregen.

5.4 Beschwerde
VerfahrenspflegerInnen sind befugt, eine Beschwerde gegen den Gerichtsbeschluss einzulegen. Auch in der Beschwerdeschrift sind die Vorstellungen des Kindes zur Kenntnis des Gerichts zu bringen. Zur Vertretung Minderjähriger, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben und Beschwerde einlegen wollen vgl. Punkt 2.7.

5.5 Beendigung der Tätigkeit
Wechselt die örtliche Zuständigkeit des Gerichtes, sollten VerfahrenspflegerInnen für die im Interesse des Kindes erforderliche Aufrechterhaltung der Kontinuität seiner Vertretung sorgen.
Ist die Aufhebung einer Verfahrenspflegschaft beabsichtigt, weil das Kind durch eine-n Rechtsanwältin/-anwalt oder Verfahrensbevollmächtigte-n vertreten werden soll, ist zu prüfen, ob dieser Wechsel dem Kind zuzumuten ist und die unabhängige und zügige Wahrnehmung des „Kindeswohls“ gewährleistet wäre. VerfahrenspflegerInnen treten der Aufhebung ihrer Bestellung entgegen, wenn die fragliche Person nicht über die erforderliche Eignung verfügt, in Interessenbindung zu anderen Verfahrensbeteiligten steht oder sich in Anlehnung an ein anwaltliches Mandatsverständnis vom Kind instruieren lassen würde.
Wird ihre Bestellung während des Verfahrens aufgehoben, sollten VerfahrenspflegerInnen die Übergabe der Vertretung sichern. VerfahrenspflegerInnen prüfen insbesondere, ob es dem Kind helfen könnte, die neue Person in ihrer Anwesenheit kennen zu lernen. Um VertreterInnen der wohlverstandenen Kindesinteressen bei ihrer Einarbeitung zu unterstützen, sollten das bisherige Vorgehen sowie vorläufige Einschätzungen dokumentiert werden.
Vor der Beendigung einer Verfahrenspflegschaft sollte die getroffene Gerichtsentscheidung oder Vereinbarung besprochen und mit dem Kind geklärt werden, wen es künftig in schwierigen und problematischen Situationen ansprechen kann. Es ist wichtig, den aus psychologischer Sicht erforderlichen Abschiedsprozess rechtzeitig einzuleiten und dem Kind oder Jugendlichen Gelegenheit zu geben, sich über die gemeinsamen Erfahrungen während der Vertretung zu verständigen.
VerfahrenspflegerInnen sollten auch allen anderen am Verfahren Beteiligten verdeutlichen, dass ihre Aufgabe beendet ist, sofern sie nicht als ErgänzungspflegerIn zur Umsetzung der richterlichen Maßnahmenwahl bestellt wurden. In diesem Fall muss die neue Aufgabe mit dem Kind sowie den anderen Verfahrensbeteiligten besprochen werden.
VerfahrenspflegerInnen sollten fallbezogene Unterlagen und Aufzeichnungen auch nach Ende ihrer Tätigkeit unter Beachtung des Datenschutzes aufbewahren, um auf diese zurückgreifen zu können, falls es erneut zu einem Verfahren - z.B. wegen Abänderung der gerichtlichen Entscheidung - kommt.

5.6 Vergütung
Für die Rechnungsstellung ist es nötig, zeitliche und finanzielle Aufwendungen (z.B. Treffen mit dem Kind, Telefonate, Fahrten, Gesprächstermine, Supervision) übersichtlich und detailliert zu dokumentieren. Für eine langfristige Qualitätssicherung der Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche sollten VerfahrenspflegerInnen auf der Vergütung aller erbrachten fachlichen Leistungen bestehen.