BGH kontra Bundesverfassungsgericht wenn Unterhaltspflicht gegenüber zwei Ehepartnern
BGH kontra Bundesverfassungsgericht wenn Unterhaltspflicht gegenüber zwei Ehepartnern
Hallo,
ich werde nachfolgend ein BGH-Urteil aus 2008 ( XII ZR 177/06 ) zur Berechnung des Unterhaltes, bei aktuellem und ehemaligen Ehepartner einstellen. Grob über den Daumen gepeilt, war die Berechnung so, dass alle drei Einkommen (vom Unterhaltszahler und den beiden Unterhaltsberechtigten) incl. Splittingvorteil aus der neuen Ehe addiert wurden. Dann wurde - unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes des Unterhaltszahlers - das addierte Einkommen auf alle drei Personen aufgeteilt. Wer von den Unterhaltsberechtigten nicht genug eigenes Einkommen hatte, bekam vom Unterhaltszahler noch einen "Zuschuss".
Im Januar 2011 hat das Bundesverfassungsgericht diese Berechnungsmethode "kassiert" und eine neue Berechnung vorgegeben. Dieses Urteil ( 1 BvR918/10 ) wird auch eingestellt werden.
Im Dezember 2011 XII ( ZR 151/09 ) hat der Bundesgerichtshof diese Dreiteilung wieder zu neuem Leben erweckt, aber die Begründung für dieses Vorgehen "angepasst". Ein Rechtsanwalt sagt zu diesem Vorgehen im Internet http://www.anwalt24.de/beitraege-news/fachartikel/bgh-erweckt-die-drittelregelung-zu-neuem-leben-2 :
Vor einem Jahr wurde die "Drittelregelung" bei Anspruchskonkurrenzen von früheren und späteren Ehepartnern vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt, jetzt gilt sie weiter, mit einer neuen Begründung, die der BGH erarbeitet hat. Was absurd klingt, ist juristisch logisch und praktisch.
Am 25.01.2011 (veröffentlicht 11.02.2011, 1BvR 918/10) hatte das Bundesverfassungsgericht ein neue Regelung, die der Bundesgerichtshof in das Unterhaltsrecht eingeführt hat (sog. Drittelregelung), für verfassungswidrig erklärt.
Es ging um die Anspruchkonkurrenz zwischen einer früheren Ehefrau und einer neuen Ehefrau samt der Kinder aus der neuen Verbindung. Das Bundesverfassungsgericht sah in der Einbeziehung dieser nach Scheidung hinzugetretenen Anspruchsberechtigten bei der Unterhaltsberechnung für die frühere Ehefrau einen Verfassungsverstoß, da diese Unterhaltsfaktoren die Ehe nicht geprägt haben.
Der BGB stimmte in seiner bisher nur im Internet veröffentlichten Entscheidung mit Urteil vom 07.12.2011 (XII ZR 151/09) dem zu, da die "ehelichen Lebensverhältnisse im Sinne von § 1578 I 1 BGB grundsätzlich durch die Umstände bestimmt werden, die bis zur Rechtskraft der Scheidung eintreten".
Da im Unterhaltsrecht grundsätzlich der "Halbteilungsgrundsatz" gilt muss allerdings bei "der Bemessung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nach § 1581 BGB" auch seine Unterhaltspflicht gegenüber andereren Personen geprüft werden. "Übersteigt der Bedarf des Unterhaltsberechtigten (frühere Frau) den Betrag, der dem Unterhaltspflichtigen für seinen eigenen Unterrhalt verbleibt, so liegt zwischen ihnen ein relativer Mangelfall vor", der aus Billigkeit zu einer Kürzung des Anspruches der frühern Ehefrau führt.
Bei der Lösung dieser Billigkeitsüberlegung kommt dann das überraschende Ergebnis der neuen Entscheidung: "Im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach § 1581 BGB ist in die bei gleichrangigen Unterhaltsberechtigten mögliche Dreiteilung das gesamte unterhaltsrelevante Einkommen des Unterhaltspflichtigen und der Unterhaltsberechtigten einzubeziehen".
Für den Nichtjuristen ist es sicherlich erstaunlich, dass eine Regelung nach einer Vorschrift verfassungswidrig ist, die nach einer anderen nun wieder verfassungsgemäß sein soll. Einfacher rechnet es sich mit der Drittelmethode aber in jedem Fall.
Zum Unterhaltsbedarf und zum Rang der Ansprüche, wenn der Unterhaltspflichtige neben einem geschiedenen Ehegatten auch einem neuen Ehegatten unterhaltspflichtig ist
Der u.a. für Familiensachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich erneut mit Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem zum 1. Januar 2008 geänderten Unterhaltsrecht zu befassen. In Rechtsprechung und Literatur war noch weitgehend ungeklärt, wie der Unterhaltsbedarf der geschiedenen und der neuen Ehefrau zu bemessen ist und ob sich die Ansprüche wechselseitig zur Höhe beeinflussen. Zum 1. Januar 2008 ist durch § 1609 BGB auch der Rang der beiden Unterhaltsansprüche geändert worden, was sich immer dann auswirkt, wenn der Unterhaltspflichtige unter Wahrung des ihm verbleibenden Selbstbehalts (hier: 1000 ) nicht alle Ansprüche voll befriedigen kann.
Der 1949 geborene Kläger und die 1948 geborene Beklagte hatten 1978 die Ehe geschlossen, aus der keine Kinder hervorgegangen sind. Nach Trennung im Mai 2002 wurde die Ehe im April 2005 rechtskräftig geschieden. Zuvor hatten die Parteien im Scheidungsverbundverfahren einen Vergleich geschlossen, in dem sich der Kläger verpflichtet hatte, an die Beklagte, die seit 1992 vollschichtig als Verkäuferin arbeitete und eigene Einkünfte von rd. 1175 zur Verfügung hatte, einen nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 600 zu zahlen. Der Kläger, der nach wie vor als Lehrer mit Bezügen nach der Besoldungsgruppe A 12 tätig ist, begehrt den Wegfall seiner Unterhaltspflicht für die Zeit ab Oktober 2005 und Rückzahlung der seit Rechtshängigkeit des Verfahrens gezahlten Unterhaltsbeträge. Er beruft sich darauf, im Oktober 2005 wieder geheiratet zu haben und die bereits am 1. Dezember 2003 geborene Tochter seitdem zu unterhalten.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht den Unterhalt der geschiedenen Ehefrau teilweise herabgesetzt. Auf die Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
1. Zur Bedarfsbemessung:
Bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs der geschiedenen und der neuen Ehefrau des Beklagten nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 BGB) ist der Bundesgerichtshof von seiner neueren Rechtsprechung ausgegangen, wonach nicht nur ein späterer Einkommensrückgang, sondern auch ein späteres Hinzutreten weiterer Unterhaltsberechtigter zu berücksichtigen ist (BGH Urteil vom 6. Februar 2008 XII ZR 14/06 FamRZ 2008, 968). Eine Grenze für diese Berücksichtigung ergibt sich erst in Fällen unterhaltsrechtlich vorwerfbaren Verhaltens, was weder beim Hinzutreten später geborener Kinder noch bei Heirat einer neuen Ehefrau der Fall ist.
Wenn sich somit auch der Unterhaltsbedarf einer geschiedenen und einer neuen Ehefrau gegenseitig beeinflussen, ist der jeweilige Bedarf aus einer Drittelung des vorhandenen Einkommens zu ermitteln. Ist nur ein Unterhaltsberechtigter Ehegatte vorhanden, ergibt sich dessen Bedarf aus einer Halbteilung des vorhandenen Einkommens. Dem Halbteilungsgrundsatz kann aber nicht entnommen werden, dass dem Unterhaltspflichtigen stets und unabhängig von der Zahl der Unterhaltsberechtigten immer die Hälfte seines Einkommens verbleiben muss. Diesem Grundsatz ist vielmehr lediglich zu entnehmen, dass dem Unterhaltspflichtigen stets so viel verbleiben muss, wie ein Unterhaltsberechtigter durch eigene Einkünfte und den ergänzenden Unterhalt zur Verfügung hat. Bei nur einem unterhaltsberechtigten Ehegatten ist das die Hälfte, bei einem früheren und einem neuen Ehegatten ein Drittel.
Der Bundesgerichtshof hat den Fall zugleich zum Anlass genommen, seine Rechtsprechung zur Behandlung des Splittingvorteils aus der neuen Ehe zu ändern. Nach der zum früheren Recht ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs musste der Splittingvorteil stets der neuen Ehe verbleiben. Der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau musste deswegen auf der Grundlage eines fiktiven und geringeren - weil nach der Grundtabelle zu versteuernden Einkommens errechnet werden. Weil sich nunmehr der Unterhaltsbedarf der geschiedenen und der neuen Ehefrau wechselseitig beeinflussen, konnte der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung aufgeben. Allerdings darf ein geschiedener Ehegatte nicht mehr Unterhalt erhalten, als ihm ohne Einbeziehung des Splittingvorteils zustünde, wenn er allein unterhaltsberechtigt wäre.
2. Zum Rang der Unterhaltsansprüche:
Das Oberlandesgericht hatte die geschiedene und die neue Ehefrau des Unterhaltspflichtigen schon nach dem für Unterhaltsansprüche bis Ende 2007 geltenden früheren Unterhaltsrecht (§ 1582 BGB a.F.) als gleichrangig angesehen. Dies hat der Bundesgerichtshof als rechtsfehlerhaft gerügt. Der Rang der Unterhaltsansprüche mehrerer Ehegatten war nach dem bis Ende 2007 geltenden früheren Unterhaltsrecht vornehmlich durch den Prioritätsgedanken bestimmt. Nach der Intention des Gesetzes musste sich ein neuer Ehegatte auf die schon bestehenden Unterhaltspflichten einrichten und konnte im Mangelfall nur den Unterhalt bekommen, der dem Unterhaltspflichtigen nach Erfüllung der Unterhaltsansprüche der geschiedenen Ehefrau unter Wahrung seines eigenen Selbstbehalts zur Verfügung stand. Bei diesem Vorrang der geschiedenen Ehefrau, den auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt hatte, hat es nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs für die Unterhaltsansprüche bis Ende 2007 zu verbleiben, so dass die Beklagte der neuen Ehefrau des Klägers vorging.
Für Unterhaltsansprüche ab Januar 2008 hat das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz allerdings eine neue Rangfolge festgelegt. Der Gesetzgeber hat dabei den Prioritätsgedanken weitgehend aufgegeben und auf das Gewicht der einzelnen Unterhaltsansprüche abgestellt. Nach den im ersten Rang stehenden Unterhaltsansprüchen minderjähriger Kinder sind im zweiten Rang stets die Ansprüche Kinder betreuender Eltern auf Betreuungsunterhalt zu befriedigen. Weil die neue Ehefrau des Beklagten das gemeinsame Kind betreut, das noch keine drei Jahre alt war, ist sie zweitrangig unterhaltsberechtigt. Andere Ehegatten oder geschiedene Ehegatten stehen nur dann im gleichen zweiten Rang, wenn eine lange Ehedauer vorliegt. Dabei ist aber nicht allein auf die Dauer der Ehe abzustellen. Vielmehr ist gemäß den §§ 1609 Nr. 2, 1578 b BGB entscheidend darauf abzustellen, ob die unterhaltsberechtigte geschiedene Ehefrau ehebedingte Nachteile erlitten hat. Weil die Beklagte in ihrer 24-jährigen und kinderlosen Ehe hier seit 1992 durchgehend vollschichtig berufstätig war und deswegen ehebedingte Nachteile nicht ersichtlich sind, ist ihr Unterhaltsanspruch für die Zeit ab Januar 2008 gegenüber der neuen Ehefrau nachrangig.
Urteil vom 30. Juli 2008 XII ZR 177/06
Amtsgericht Lingen (Ems) Urteil vom 21.06.2006 19 F 133/06 UE
Oberlandesgericht Oldenburg Urteil vom 26.09.2006 12 UF 74/06
Karlsruhe, den 31. Juli 2008
Pressestelle des Bundesgerichtshofs 76125 Karlsruhe Telefon (0721) 159-5013 Telefax (0721) 159-5501
AG Lingen 19 F 133/06 Urteil vom 21. Juni 2006
OLG Oldenburg 12 UF 74/06 Urteil vom 26. September 2006
FamRZ 2006, 1842
Der XII. Zivilsenat hat am 30. Juli 2008 über weitere Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Unterhaltsrechtsreformgesetz zu entscheiden. Für Fälle, in denen neben einem geschiedenen Ehegatten auch ein neuer Ehegatte unterhaltsberechtigt ist, ist sowohl die Bemessung des jeweiligen Unterhaltsbedarfs, als auch der Rang des geschiedenen und des neuen Ehegatten im Falle einer Leistungsunfähigkeit des unterhaltspflichtigen Ehegatten klärungsbedürftig.
Der 1949 geborene Kläger und die 1948 geborene Beklagte hatten 1978 die Ehe geschlossen, aus der keine Kinder hervorgegangen sind. Nach Trennung im Mai 2002 wurde die Ehe im April 2005 rechtskräftig geschieden. Zuvor hatten die Parteien im Scheidungsverbundverfahren einen Vergleich geschlossen, in dem sich der Kläger verpflichtet hatte, an die Beklagte, die seit 1992 vollschichtig als Verkäuferin arbeitete und zuletzt rd. 1075 verdiente, einen nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 600 zu zahlen.
Der Kläger, der nach wie vor als Lehrer mit Bezügen nach der Besoldungsgruppe A 12 tätig ist, begehrt nunmehr den Wegfall seiner Unterhaltspflicht für die Zeit ab Oktober 2005 und Rückzahlung der seit Rechtshängigkeit des Verfahrens gezahlten Unterhaltsbeträge. Er beruft sich darauf, im Oktober 2005 wieder geheiratet zu haben und die bereits am 1. Dezember 2003 in Polen geborene gemeinsame Tochter S. seitdem zu unterhalten.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht der Klage teilweise stattgegeben; es ist schon für das frühere Unterhaltsrecht von einem nach seiner Auffassung verfassungsrechtlich gebotenen Gleichrang der Unterhaltsansprüche beider Ehegatten ausgegangen und hat die Unterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber der Beklagten auf zuletzt 200 monatlich herabgesetzt. Außerdem hat es die Beklagte verurteilt, an den Kläger insgesamt 2.800 überzahlten Unterhalt zurückzuzahlen. Dagegen richtet sich die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision der Beklagten.
Die Höhe des Unterhaltsbedarfs eines geschiedenen Ehegatten richtet sich nach § 1578 Abs. 1 BGB, der folgende Regelung enthält:
1578 BGB Maß des Unterhalts
(1) Das Maß des Unterhalts bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen
Der Rang eines unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten gegenüber einem neuen Ehegatten war nach dem für Unterhaltsansprüche bis Ende 2007 geltenden früheren Recht wie folgt geregelt:
(1) Bei Ermittlung des Unterhalts des geschiedenen Ehegatten geht im Falle des § 1581 der geschiedene Ehegatte einem neuen Ehegatten vor, wenn dieser nicht bei entsprechender Anwendung der §§ 1569 bis 1574, § 1576 und des § 1577 Abs. 1 unterhaltsberechtigt wäre. Hätte der neue Ehegatte nach diesen Vorschriften einen Unterhaltsanspruch, geht ihm der geschiedene Ehegatte gleichwohl vor, wenn er nach § 1570 oder nach § 1576 unterhaltsberechtigt ist oder die Ehe mit dem geschiedenen Ehegatten von langer Dauer war. Der Ehedauer steht die Zeit gleich, in der ein Ehegatte wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes nach § 1570 unterhaltsberechtigt war.
(2)
Während § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB unverändert geblieben ist, hat das Unterhaltsrechtsreformgesetz für Unterhaltsansprüche ab Januar 2008 die folgende neue Rangfolge eingeführt:
Sind mehrere Unterhaltsberechtigte vorhanden und ist der Unterhaltspflichtige außerstande, allen Unterhalt zu gewähren, gilt folgende Rangfolge:
1.minderjährige unverheiratete Kinder und Kinder im Sinne des § 1603 Abs. 2 Satz 2,
2.Elternteile, die wegen der Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt sind oder im Fall einer Scheidung wären, sowie Ehegatten und geschiedene Ehegatten bei einer Ehe von langer Dauer; bei der Feststellung einer Ehe von langer Dauer sind auch Nachteile im Sinne des § 1578b Abs. 1 Satz 2 und 3 zu berücksichtigen,
3.Ehegatten und geschiedene Ehegatten, die nicht unter Nummer 2 fallen,
4.Kinder, die nicht unter Nummer 1 fallen,
5.Enkelkinder und weitere Abkömmlinge,
6.Eltern,
7.weitere Verwandte der aufsteigenden Linie; unter ihnen gehen die Näheren den Entfernteren vor.
Der Bundesgerichtshof wird zunächst klären müssen, welche Bedeutung der Halbteilungsgrundsatz für die Aufteilung der erzielten Einkünfte auf die beiden Unterhaltsberechtigten und den Unterhaltspflichtigen erlangt, wenn sowohl die geschiedene als auch die neue Ehefrau ihren Unterhaltsbedarf aus den ehelichen Lebensverhältnissen herleiten. Dabei wird er auch zu der in Teilen der Rechtsprechung und Literatur vorgeschlagenen Drittelteilung des vorhandenen Gesamteinkommens Stellung nehmen müssen.
Weiter wird der Bundesgerichtshof für den Fall einer nur eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen den Rang der Ansprüche nach altem und neuem Recht klären müssen. Klärungsbedürftig ist dabei vor allem der Begriff der "langen Dauer" einer Ehe nach der Neuregelung in § 1609 Nr. 2 BGB.
Pressestelle des Bundesgerichtshofs 76125 Karlsruhe Telefon (0721) 159-5013 Telefax (0721) 159-5501
-------------------------------------------------------------------------------- Neue Rechtsprechung zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts unter Anwendung der sogenannten Dreiteilungsmethode verfassungswidrig --------------------------------------------------------------------------------
Mit dem am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts hat der Gesetzgeber das Unterhaltsrecht mit dem Ziel der Stärkung des Kindeswohls, der wirtschaftlichen Entlastung sogenannten Zweitfamilien sowie der Vereinfachung reformiert. Im Geschiedenenunterhaltsrecht gilt seitdem verstärkt der Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung jedes Ehegatten, dem es gemäß § 1569 BGB n.F. obliegt, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, es sei denn, er ist hierzu außerstande. Durch den neu geschaffenen § 1578b BGB ist die Möglichkeit eröffnet worden, den nachehelichen Unterhalt im Einzelfall unter Billigkeitsgesichtspunkten herabzusetzen und/oder zeitlich zu begrenzen. Des Weiteren ist die Rangfolge der Unterhaltsberechtigten für den Fall, dass der Unterhaltspflichtige nicht in der Lage ist, ihnen allen Unterhalt zu leisten (sogenannter Mangelfall), in § 1609 BGB neu festgelegt worden: Während den minderjährigen Kindern der erste Rang zugewiesen ist, sind geschiedene und nachfolgende Ehegatten im Rang grundsätzlich gleichgestellt.
Unverändert ist dagegen neben der Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (§ 1581 BGB) die Regelung des Maßes des nachehelich zu gewährenden Unterhalts geblieben, das sich gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmt. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs waren für die Bestimmung der ehelichen Lebensverhältnisse grundsätzlich die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung maßgeblich. Danach eintretende Veränderungen der Verhältnisse wurden nur ausnahmsweise in die Unterhaltsbedarfsbestimmung einbezogen. Änderungen des Einkommens des geschiedenen Ehegatten waren beispielsweise in die Ermittlung des Unterhaltsmaßes nur dann einzubeziehen, wenn sie zum Zeitpunkt der Scheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen waren und diese Erwartung die ehelichen Lebensverhältnisse bereits geprägt hatte oder aber die Änderungen das Surrogat einer zuvor erbrachten Haushaltsführung darstellten.
Nunmehr geht der Bundesgerichtshof aber davon aus, dass die für die Höhe des Unterhaltsbedarfs maßgeblichen Lebensverhältnisse einer geschiedenen Ehe Veränderungen unabhängig davon erfahren können, ob diese in der Ehe angelegt waren. Mit Urteil vom 30. Juli 2008 (BGHZ 177, 356) hat er erstmals eine Unterhaltspflicht gegenüber einem neuen Ehepartner in die Bemessung des Bedarfs des vorangegangenen, geschiedenen Ehegatten einbezogen: Der Unterhaltsbedarf des geschiedenen Ehegatten sei zu ermitteln, indem seine bereinigten Einkünfte ebenso wie diejenigen des Unterhaltspflichtigen und dessen neuen Ehepartners zusammengefasst und durch drei geteilt würden (sogenannte Dreiteilungsmethode). Mittels einer Kontrollrechnung sei sodann sicherzustellen, dass der geschiedene Ehegatte maximal in der Höhe Unterhalt erhalte, die sich ergäbe, wenn der Unterhaltspflichtige nicht erneut geheiratet hätte.
Der Beschwerdeführerin, die 24 Jahre mit dem Kläger des Ausgangsverfahrens verheiratet war, wurde zunächst im Zuge der Scheidung ein nachehelicher Aufstockungsunterhalt von 618 monatlich zuerkannt. Nach der Wiederheirat des Klägers setzte das Amtsgericht im Ausgangsverfahren in Anwendung der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den monatlich zu zahlenden Unterhalt auf 488 herab, indem es die Einkünfte der nachfolgenden Ehefrau im Wege der Dreiteilungsmethode in die Bedarfsberechnung einbezog. Das Oberlandesgericht hielt das Urteil hinsichtlich der Unterhaltsbemessung aufrecht. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurückverwiesen. Die zur Auslegung des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB entwickelte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen unter Anwendung der Berechnungsmethode der sogenannten Dreiteilung löst sich von dem Konzept des Gesetzgebers zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts und ersetzt es durch ein eigenes Modell. Mit diesem Systemwechsel überschreitet die neue Rechtsprechung die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und verletzt die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Das Konzept des Gesetzgebers zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts differenziert zwischen der Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten, dessen Unterhaltsbedarf, der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen sowie der Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter. Den Ausgangspunkt der Unterhaltsberechnung bildet die Bestimmung des Unterhaltsbedarfs, an dessen Ermittlung sich die Prüfung der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen sowie der Verteilung der verfügbaren Geldmittel im Mangelfall anschließt. An dieser Strukturierung hat der Gesetzgeber anlässlich der Unterhaltsreform festgehalten. Dies gilt ebenso für die Ausrichtung des Unterhaltsmaßes an den ehelichen Lebensverhältnissen gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB, mit der der Gesetzgeber auf die individuellen Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten Bezug genommen hat, die er nach wie vor zum Zeitpunkt der Scheidung bestimmt wissen will.
Über dieses beibehaltene Konzept setzt sich die neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinweg, indem sie einen Systemwechsel vornimmt, bei dem sie die gesetzgeberische Grundentscheidung zur Bestimmung des Unterhaltsbedarfs durch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen ersetzt. Die geänderte Auslegung hebt die gesetzliche Differenzierung zwischen Unterhaltsbedarf und Leistungsfähigkeit auf. Sie berücksichtigt die nachehelich entstandenen Unterhaltspflichten gegenüber einem weiteren Ehegatten bereits auf der Ebene des Bedarfs des geschiedenen Ehegatten (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB), obwohl deren Berücksichtigung gesetzlich erst auf der Ebene der nach den gegenwärtigen Verhältnissen des Unterhaltspflichtigen zu beurteilenden Leistungsfähigkeit nach § 1581 BGB vorgesehen ist. Statt die Bestimmung des Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen der aufgelösten Ehe vorzunehmen, ersetzt sie diesen Maßstab durch den der wandelbaren ehelichen Lebensverhältnisse und bestimmt damit und unter Anwendung der Dreiteilungsmethode den Unterhaltsbedarf letztlich nach den tatsächlichen Lebensverhältnissen und finanziellen Ausstattungen wie Belastungen der Geschiedenen zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Unterhalts unter Einbeziehung auch des Einkommens, das der neue Ehegatte des Unterhaltspflichtigen erzielt oder das ihm fiktiv zugerechnet wird. Dieser neue Maßstab spiegelt die ehelichen Lebensverhältnisse nicht mehr wider und löst sich in Gänze von der gesetzlichen Vorgabe.
Zudem bezieht die neue Rechtsprechung den Unterhaltsbedarf des nachfolgenden Ehegatten nur so lange in die Bestimmung des Unterhaltsbedarfs des geschiedenen Ehegatten mit ein, wie dies zu einer Verkürzung des Bedarfs des geschiedenen Ehegatten führt. Wirkt sich die Dreiteilungsmethode zugunsten des geschiedenen Ehegatten aus, wird sein Unterhaltsbedarf mittels der vom Bundesgerichtshof vorgesehenen Kontrollrechnung auf den sich nach seinen ehelichen Lebensverhältnissen ergebenden Betrag herabbemessen. Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass der geschiedene Ehegatte infolge der neuen Bedarfsermittlungsmethode regelmäßig weniger, selten dasselbe, nie aber mehr erhält als im Wege einer nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmten Berechnung.
Die neue Rechtsprechung lässt sich mit keiner der anerkannten Auslegungsmethoden rechtfertigen. Sie läuft dem klaren Wortlaut des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB zuwider, der die ehelichen Verhältnisse zum Maßstab der Bedarfsbemessung erhoben hat und damit diejenigen Verhältnisse, die in der geschiedenen Ehe bestanden haben oder zumindest mit ihr in Zusammenhang stehen. Ein Bezug zu den ehelichen Lebensverhältnissen lässt sich jedoch nicht mehr bei der Einbeziehung von Veränderungen herstellen, die gerade nicht auf die Ehe zurückzuführen sind, sondern - wie Unterhaltspflichten gegenüber einem neuen Ehegatten - scheidungsbedingt sind.
Die neue Auslegung des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB lässt sich auch nicht aus dessen systematischer Einbindung in den Normenkontext herleiten, da sie die vom Gesetzgeber vorgesehene Differenzierung zwischen Unterhaltsbedarf und Leistungsfähigkeit aufhebt. Zudem widerspricht sie dem Zweck des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB, der dazu dient, dem unterhaltsberechtigten Ehegatten bei der Bestimmung seines Bedarfs grundsätzlich gleiche Teilhabe an dem zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung gemeinsam erreichten Status zu gewähren. Die mit der Kontrollrechnung verbundene richterliche Dreiteilungsmethode belastet den vorangegangenen Ehegatten einseitig zugunsten des Unterhaltspflichtigen und dessen nachfolgenden Ehegatten. Sie setzt sich überdies über den Willen des Gesetzgebers hinweg. Soweit dieser Einschränkungen beim nachehelichen Unterhalt vorgenommen hat, wie bei der Kürzung oder Befristung von Unterhaltsansprüchen nach § 1578b BGB, hat er damit die unterhaltsrechtliche Position des geschiedenen Ehegatten nicht von vornherein verschlechtern wollen, wie dies die Bedarfsbestimmung nach der Dreiteilung vorsieht, sondern nur unter bestimmten Billigkeitsgesichtspunkten.
Die geänderte Rechtsprechung lässt sich schließlich nicht mit dem Ziel der Unterhaltsreform begründen, das Unterhaltsrecht zu vereinfachen. Sie erleichtert die Unterhaltsberechnung nicht, sondern erweitert sie um den Rechenschritt der Bedarfsermittlung im Wege der Dreiteilung, da sie im Rahmen der Kontrollrechnung eine Berechnung des Unterhalts nach der von der Rechtsprechung herkömmlich angewandten Methode unter Berücksichtigung der ehelichen Lebensverhältnisse der aufgelösten Ehe vorsieht.
2. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit als Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG). Sie beruht auf der die Grenze zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung überschreitenden neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in deren Folge der Unterhaltsbedarf der Beschwerdeführerin und damit ihr Unterhaltsanspruch in einem vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Maße verkürzt worden sind.